Einleitung

Theater neuen Typs?! (Foto: Anja Beutler)

Frei und fair arbeiten!

Kulturpolitischer Bundeskongress zum 25. Gründungsjubiläum des Bundesverband Freie Darstellende Künste in Hamburg

 

Über 400 Teilnehmende konnte der Bundesverband Freie Darstellende Künste (BFDK) auf seinem Bundeskongress vom 15.–17. Oktober 2015 auf Kampnagel in Hamburg verzeichnen. Volles Haus zum 25. Verbandsjubiläum. Der 1990 als Bundesverband Freier Theater (BUFT) in Herne gegründete Interessenverband ist bis heute auf rund 1.300 Mitglieder in 16 aktiven Landesverbänden gewachsen.

Das erste kulturpolitische Ausrufezeichen setzte die Delegiertenversammlung bereits am Vorabend des Kongresses. Mit den Stimmen aller Landesverbände wurde auf Initiative einer Gruppe um die frisch gewählte neue Vorsitzende, Janina Benduski (Berlin), eine Empfehlung zur Honoraruntergrenze verabschiedet. Unter Verweis auf die Tatsache, dass mittlerweile rund 50 Prozent der Kulturproduktion in Deutschland in freien Strukturen stattfinden sowie unter Bezugnahme auf den gesetzlichen Mindestlohn und die Mindestgage des NV Bühne empfiehlt der Verband "bei der Erstellung von Förderanträgen und in der Umsetzung der Projekte sowohl bei öffentlichen wie auch privaten Förderern auf Landes- und Bundesebene die Berechnung der Honorare [freiberuflicher KünstlerInnen] auf Basis einer Honoraruntergrenze [in Höhe von aktuell] 2.150 Euro".

Der Kongress selbst, der unter dem programmatischen Titel "vielfalt gestalten. frei und fair arbeiten" stand, weitete den Blick und vermied eine Engführung der Themen auf die soziale Lage der professionellen freien Tanz- und Theaterschaffenden. In vier Programmlinien ("Theaterstrukturen der Zukunft", "Zwischen Berufung und Beruf", "Schlaglicht Europa" und "Kulturelle Bildung") diskutierten KünstlerInnen und Fachleute aus Wissenschaft, Politik und Verwaltung über theaterpolitische Herausforderungen, Rahmenbedingungen und konkrete Modelle künstlerischer Arbeit sowie über aktuelle Vorhaben und Studien.

Zu den großen strukturellen Herausforderungen des Theaters zählt heute, einem zeitgenössischen, nicht-literarischen Bühnenschaffen über das Einzelvorhaben (Projekt) hinaus, eine belastbare Perspektive zu geben. So sprach sich Thomas Oberender, Intendant der Berliner Festspiele, dafür aus, künftig keine Trennung zwischen den Finanzierungssystemen – staatliche Theater/Institutionen hier, freie Theater/Projekte dort – zu ziehen, sondern das inzwischen etablierte zeitgenössische "Theater der Kreation" in jeder Hinsicht gleichberechtigt neben das tradierte "Theater der Interpretation" zu stellen. Ersteres verstehe sich als kooperativer Produzent mit mannigfaltigen künstlerischen Bezügen (auch international) sowie dem berechtigten Anspruch, neue Erlebnisformen der Kunst zu eröffnen. Es verändere mithin die Art, wie Theater und Theaterinstitutionen zu denken seien. Im Sinne Oberenders lassen sich, zahlreiche Versuche und Vorhaben von Akteuren der freien Darstellenden Künste in das Bemühen einordnen, der zeitgenössischen Kreation zu einem wirksamen Arbeitsraum zu verhelfen. Die auf dem Kongress diskutierten Netzwerke von Spielstätten und Residenzakteuren zählen ebenso dazu wie die forschende Auseinandersetzung mit Phänomenen der Netzkultur, denen ein eigenes Panel zur "Digitalisierung des Theaters" gewidmet war.

Den Blick auf die Struktur des Arbeitsmarktes Kultur eröffnete Axel Haunschild, Direktor des Instituts für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft an der Universität Hannover, im Panel "Zwischen Berufung und Beruf". Er verwies auf das unbequeme Dilemma, dass freie künstlerische Arbeit in Netzwerken und immer neuen Projekten sowie in Abgrenzung zu den Institutionen von außen betrachtet den Idealen des entgrenzten Kapitalismus entspreche und ihre Durchsetzung im Arbeitsmarkt beschleunige. Aus seiner Sicht könne die aktuelle Arbeitsorganisation der freien Szene deshalb kein role model für das deutsche Theater insgesamt sein, insbesondere weil das Moment der Sicherheit fehle. Das blieb nicht unwidersprochen. Vor allem aber wurde diskutiert, wie und inwieweit Formen der sozialen Sicherung etwa durch Vereinbarung auf Standards der Bezahlung wirksam werden können. Die Vereinbarkeit von Freiheit und sozialer Sicherheit bleibt also auf der Agenda – auch in den freien Darstellenden Künsten.

Die Gelingensbedingungen für Projekte der Kulturelle Bildung waren Thema des Panels, das zugleich auch Fachtag des Programms "tanz + theater machen stark" war. Fachstandards der Darstellenden Künste sind, so das Fazit, zu festigen. Förderprogramme wie "Kultur macht stark" können dies befördern. Insofern war es erfreulich, dass der Vorsitzende der Programmjury des BMBF, Heinrich Grosse-Brockhoff, sich sicher gab, dass das 2017 endende Programm aufgrund seines Erfolgs eine Fortführung erfahren werde.

Nicht zuletzt fanden im Rahmen des Kongresses auch Arbeitstreffen aktueller Projekte, wie etwa des Archivverbunds Freies Theater statt. Hervorzuheben sind zwei intensive Workshops zu den Förderstrukturen der freien Darstellenden Künste in Deutschland. Erste Befunde einer dazu vom Verband in Auftrag gegebenen vergleichende Studie zu den Förderinstrumenten in den 16 Bundesländern und rund 40 Kommunen wurden von Studienleiterin Ulrike Blumenreich vom Institut für Kulturpolitik der KuPoGe vorgestellt und angeregt diskutiert. Die Veröffentlichung der Ergebnisse (geplant für Anfang 2016) wird, so die Erwartung, eine Grundlage für die notwendige bessere Abstimmung der Förderinstrumente zwischen Bund, Ländern und Kommunen sein können.

Nach 25 Jahren hat der Bundesverband Freie Darstellende Künste mit seinem Hamburger Kongress ein Signal für eine starke, dialogorientierte Verbandsarbeit gesetzt. Nun wird es darauf ankommen, die zahlreichen Handlungsanregungen der Szene im Dialog mit Kulturpolitik und -verwaltungen zu präzisieren und in Angriff zu nehmen.

 

(Text: Martin Heering)